Alles RassistenMeine ganze Verwandtschaft ist eine Schande

Von Eberhard Will, Mannheim

Während frühere Familientreffen eher beschaulich waren, fuhr ich dieses Mal sehr aufgewühlt nach Hause. Hatte ich mich anfangs noch reihum am Small Talk beteiligt, verlegte ich mich nach und nach aufs Zuhören und – ja, ich gebe es zu – aufs Belauschen. Und dabei gewann ich eine erschreckende Erkenntnis: die gesamte Mischpoke besteht aus lauter Rassisten.

Anfang April hatten wir Kommunion. Bei Kommunionen trifft sich traditionell unsere ganze Großfamilie, weit vollständiger und natürlich viel lieber als bei Beerdigungen. Insgesamt waren dieses Jahr wohl mehr als 30 Leute aus vier Generationen da, darunter keine Multimillionäre und keine Sozialhilfeempfänger, aber sonst alle soziale Schichten, beide Geschlechter – aber mit mehreren Varianten, zwei Religionen, Agnostiker und Atheisten, alle Bildungsabschlüsse außer Förderschule, mehrere deutsche Stämme, ein angeheirateter Kroate und eine angeheiratete Italienerin, Schüler und Studenten, Angestellte und Beamte, Hausfrauen, Rentner und Pensionäre, sowie fast das gesamte politische Spektrum von der AfD bis zur Linken. Die ersten kamen am Vorabend des Weißen Sonntags angereist, die letzten fuhren am Montag nach dem Frühstück wieder nach Hause. Es war wie immer ein riesengroßes Tratschen und Klatschen.

Natürlich habe ich mich gleich zu Hause hingesetzt, um so gut es geht ein Protokoll zu schreiben. Vielleicht muss ich ja mal gegen sie aussagen. Zum Beispiel vor einer der Organisationen, die von der Bundesregierung mit Steuergeld für den “Kampf gegen Rechts“ bezahlt werden. Dass ich das hier veröffentliche, soll insbesondere unsere jungen Leute sensibilisieren und sie davor warnen, unversehens selbst zur Rassistin oder zum Rassisten zu werden. Alle hier wiedergegebenen, ganz offensichtlich durch und durch rassistischen Äußerungen sind wahr. Lediglich die Personen habe ich etwas anonymisiert. Blut ist eben doch dicker als Wasser.

Luise, 17, und Karin, 16, unterhalten sich über ihre ersten gehabten oder fantasierten Erfahrungen mit Männern. Luise, die selbst brünett ist, mag keine rothaarigen, hellhäutigen Männer. Aus ihrer Sicht haben sie einen schlaffen Händedruck, schwitzige Finger, und man sieht ihre blauen Adern durch die weißrosa Haut. Die blonde Karin, 16, stimmt ihr darin zu, dass eventuelle erlernte Kompetenzen genetisch bedingte physische Nachteile nicht kompensieren könnten. Sie könne sich schütteln angesichts von jungen Männern mit blauschwarzen Bartstoppeln und starker Körperbehaarung. Nie würde sie so einen an sich heranlassen. Wenn das kein Rassismus ist. Sie hätten das ja auch über schwarze Boys sagen können.

Gerda, 55, hat im Verkauf einen schwarzen Kollegen. Er spreche sehr gut deutsch mit leicht gutturaler Stimme, sei ein charmanter Verkäufer (DOB), aber sein praktischer Sinn sei unterentwickelt – ebenso wie sein Wille, mal mit anzufassen, wo es notwendig sei. Dabei schwärmt sie von seinen Muskeln und seinem apfelförmigen “Knackarsch“.  Eine Kollegin von ihr, verbringe ihre Jahresurlaube regelmäßig an afrikanischen Stränden. Details behält sie leider für sich.

Ich frage mich zwischendurch, ob solche Gespräche vielleicht typisch katholisch sind, und worüber wohl auf einer Konfirmationsfeier gesprochen wird.

Jana, Mitte 30, kennt schwarze Menschen nur aus dem Fernsehen und vom Ballett. Insofern hat sie die Erfahrung gemacht, “Schwarze können sich einfach ganz anders bewegen. Neben denen wirken alle Weißen immer irgendwie steif.“ Eine besonders subtile Variante des täglichen Rassismus.

Reisen ins außereuropäische Ausland erweitert den Horizont offensichtlich sehr. Gerd, 40, hat zum Beispiel die Beobachtung gemacht, Japaner finden eigentlich nur sich selbst gut. Sie lassen überhaupt keine Einwanderer und keine Flüchtlinge ins Land. Er zählt dann noch ein Dutzend weitere solcher Länder auf. Er ist Ingenieur und kommt für die Wartung technischer Anlagen viel in der Welt herum. Er redet sich in Rage über die unfähigen und korrupten Eliten Schwarzafrika und die unglaubliche Brutalität dortiger Stammeskrieger. “Seit der Unabhängigkeit vor rund 50 Jahren machen sie kaum Fortschritte. Im Vergleich dazu waren 100 Jahre Kolonialismus sehr erfolgreich“. Er redet wie ein englischer oder französischer Kolonialoffizier. Offensichtlich ein Rassist.

Man sagt ja, Kinder seien “farbenblind“ was die Hautfarbe angeht, jedenfalls sind die aus unserer Verwandtschaft im Kindergarten alle so erzogen worden. Aber jetzt sind sie in der Pubertät und in der Gesamtschule, und die Hormone fördern anscheinend rassistische Wahrnehmungen: Türkische Mitschüler sind kleine Machos, jedenfalls die meisten, weiß Ann-Kathrin, 12. Den deutschen Mädchen nachsteigen, die eigenen Schwestern wegschließen. Und die deutschen dann “Schlampe“ nennen, und die Schwestern zwingen, Kopftuch zu tragen. Bea, schon 13, berichtet ähnliches: Arabische seien noch viel schlimmer. Noch anmaßender und noch frecher zu Lehrerinnen. Krass.

Die Mutter, Ende 30, schaltet sich ein: Kinder von Ausländern ziehen die Schulniveaus nach unten. Eine Nachbarin hat sich und ihre beiden Kinder wegen der Grundschulwahl bei der Oma angemeldet. Die ist Beamtenwitwe und wohnt in einem besseren Viertel. Klaus, um die 50, Zahnarzt, erzählt daraufhin, dass er jedes Jahr ein paar Privatpatienten verliert, die wegen der Schule – oder besser wegen der Mitschüler – ins Umland gezogen sind. Keiner dieser Rassisten will sich den Herausforderungen einer weltoffenen, bunten Gesellschaft stellen.

Wer als Vermieter nicht selbst mit im Haus wohnt darf sich ja mit seinem Rassismus nicht erwischen lassen. Aber im Schutz familiärer Diskretion haben dieses Mal zwei aus Hessen und NRW ausgepackt. Beide hatten über die Jahre eine Shortlist von Nationalitäten aufgestellt, an die sie garantiert nie wieder vermieten werden. In der Schnittmenge der Listen befanden sich Türken, Polen, Serben und Chinesen. Um es kurz zu machen: jew. mehrere von ihnen hatten nichts weiter getan, als negativen Klischees zu entsprechen, die über sie im Umlauf sind, z.B. Anspruchshaltung, Unordnung, Streitsucht, Essensgerüche. Lediglich homosexuellen Paaren hat dieses Bewertungsschema bei beiden Vermietern genutzt. Schwule hätten besseres Benehmen, richteten sich geschmackvoller ein und hätten ordentliche Vorhänge an den Fenstern.

Es gibt ja eine Menge “Schulen ohne Rassismus“, aber anscheinend keine Universitäten. Gleich drei Studenten (zwei M, ein W) heimischer Hochschulen machten aus ihrem rassistischen Herzen keine Mördergrube. Arabische Ingenieurstudenten seien schlecht in Mathe, indische nicht. Dafür seien indische gut im Lernen, aber wenig kreativ beim Konstruieren. Amerikaner seien nur dann gut in Mathe, wenn sie Juden seien. Die übrigen Beispiele habe ich vergessen. Lediglich, dass südamerikanische Kommilitoninnen zugänglich und sinnenfroh seien, erinnere ich noch. Anscheinend fördert das Studium heutzutage den Mut zu rassistischer Verallgemeinerung.

Zwei Paare mittleren Alters outeten sich im Gespräch als bekennende Sarrazinisten. Anders als ihr Mentor  entwickelten sie jedoch eine praktische Vererbungslehre, die nicht auf Statistik sondern auf einer Fülle von Einzelbeispielen basiert. Vielleicht sind es gerade die Erstkommunionen und Beerdigungen, wo durchgehechelt wird, inwiefern sich von Fall zu Fall Äußerlichkeiten, Krankheiten, aber auch Intelligenz und Dummheit sowie gute und schlechte Charaktereigenschaften mal in gerader Linie, oft aber auch über zwei Ecken vererben. Auch eigene Erziehungsmisserfolge wurden schonungslos als Belege herangezogen dafür, dass nature wieder mal stärker war als nurture. Diverse Beispiele aus einer Art privater Adoptionsforschung im Bekanntenkreis zeigten, dass bei zweifellos gleich liebevoller Aufzucht leiblicher und adoptierter Babies und gleich aufmerksamer Förderung des Schulerfolges mal das eigene, mal das angenommene Kind am Ende dank ererbter Intelligenz oder Talente die Nase vorn hatte. Für Rassisten sind es halt meist doch die Gene.

Jens, 20, ist Juso und Maasist, d.h. er widmet sich mit rücksichtlosem Einsatz dem “Kampf gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und Homophobie“. Gerne würde er dafür einen Job bei der Stiftung von Frau Kahane annehmen und sich für diese schwere Arbeit vom Steuerzahler entlohnen lassen. Alles was mit Genen zu tun hat, ist für ihn Teufelszeug, ob in der Landwirtschaft oder bei der Gattenwahl. Nur eine kleine Schwachheit lässt er sich durchgehen: Es gibt für ihn ganz unbestreitbar einen Phänotyp von geborenen Rechtsradikalen. Es sei unübersehbar, dass die jungen, dummen, männlichen Rechtsradikalen zumindest in ganz Nordeuropa gleich aussehen: übergewichtig, stiernackig, unkultiviert, gewalttätig. Wenn es nicht die Gene sein dürfen, ist das jetzt Kulturrassismus?

Ergänzende Beobachtungen hat die Mutter, ca. 70, einer angeheirateten Ehefrau aus der Ex-DDR gemacht, die dort einige Jahre wegen des Versuchs der Republikflucht im Gefängnis saß. Es habe dort einen Phänotyp von DDR-Gefängniswärterinnen gegeben, teils übergewichtige, teils asketische Mannweiber, auf jeden Fall aber sadistisch, der nach ihrer Ansicht in den Gefängnissen und Lagern der ganzen Welt vorkommt. Schon als solche geborene Handlangerinnen des Totalitarismus.

Nicht aufgeschrieben habe ich, was der angeheiratete Kroate, 35, der vermutlich Ustascha-Ahnen hat, über sämtliche ihm bekannten Serbinnen und Serben und alle deren Vorfahren zum Besten gab. Das könnte leicht einen neuen Balkankrieg auslösen. Dagegen war die angeheiratete Italienerin, die in Deutschland den Sozialdemokraten zuneigt, sehr zurückhaltend. Sie konzentrierte ihre rassistischen Bemerkungen ausschließlich auf rumänische Roma, die ein Mietshaus in ihrer weiteren Nachbarschaft in einen unsäglichen “Saustall“ verwandelt hätten. Es folgte ein kleiner historischer Exkurs über “Zigeuner“, der vollkommen unsozialdemokratisch war. Das ganze Viertel ginge jetzt noch mehr den Bach hinunter. Die Deutschen seien völlig verrückt, sich so auf der Nase herumtanzen zu lassen.

Ich weiß nicht, wie sie darauf kamen. Aber ich hörte, wie sich zwei gebildete Senioren über 80 gegenseitig bestätigend aufzählten, wie viele Menschen die europäischen Eroberer in Süd- und Nordamerika, der belgische König Leopold im Kongo, sowie Stalin, Mao und Pol Pot zuhause systematisch haben ermorden lassen. Sicher wollten sie nicht über die Legitimation von Massenmord und Totschlag durch politökonomische Ziele diskutierten. Bestimmt wollten sie nur den Judenmord der Deutschen relativieren. Leider habe ich keine Zitate dafür. Offensichtlich jedoch der Gipfel des Rassismus.

Ebenfalls nicht notiert habe ich die Vielzahl rassistischer Bemerkungen im Zusammenhang mit der humanistischen Geste der Kanzlerin gegenüber den Schutzsuchenden. Das islamfeindliche Bangen und die eigene, die deutsche “Identität“. Die Herablassung gegenüber dem Mangel an wissenschaftlicher und technischer Tradition in den muslimischen Herkunftsländern. Die Angst vor der sexuellen Potenz der jungen Männer. Besonders abgefeimt waren ein paar Frauen, die erst monatelang bei der Erstaufnahme geholfen hatten, und jetzt ihre Erfahrungen und ihr Insiderwissen gegen Frau Merkel verwenden. Da bricht ihr alter Rassismus durch, der vor vierzig oder fünfzig Jahren durch den Nickneger links hinter der Kirchentür und die Missionserzählungen mit Bimbo und Wambo im Kommunionsunterricht gesät wurde.

Es war wirklich ein unglaublicher, tiefgehender Schock, als mir klar wurde, dass und wie sehr unsere ganze biedere Sippschaft rassistisch verseucht ist. Aber viel schlimmer ist die Vorstellung, ja die Gewissheit, dass wir nicht die Einzigen sind. Tausende von Familien in Deutschland ticken ganz genauso. Auch sie sind vom Ungeist des Rassismus und dem Glauben an die Macht der Gene durchdrungen. Dementsprechend misstrauen sie der Wirksamkeit von Eingliederungsmaßnahmen und Sprachkursen und Gesamtschulunterricht. Unfähig zu erkennen, wie falsch dies ist, möchten sie einfach so bleiben wie sie sind. Ist es da ein Wunder, dass die Regierung vom Staatsvolk enttäuscht ist? Kann man es ihr verdenken, wenn sie an seiner Umerziehung arbeitet – wo sie sich halt kein neues wählen kann? Nahezu jedes Ministerium hat dafür bereits eigene Programme aus denen es zahlreiche Initiativen, Stiftungen und Projekte finanziert. Alle vernetzen sich, arbeiten zusammen, unterstützen sich gegenseitig und schaffen CO²-neutrale Arbeitsplätze. Ist das nicht eine heroische Aufgabe, den großen Teil des Volkes umzuerziehen im Geiste der Akzeptanz des Fremden und des Aufgehens in der Buntheit der Weltvölker? Und wieder geht es darum, anzuschließen an die großen – wenn auch gescheiterten – politischen Vorhaben des 20. Jahrhunderts. Es geht um nichts weniger als darum, jetzt endlich doch noch den neuen Menschen zu schaffen. Kann es eine Aufgabe geben, die eher dafür geeignet ist, um ihrer selbst willen getan zu werden?

 

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