Wo entsteht die nächste Neckarstadt-West?Neues vom Stadtumbau

Von Eberhard Will, Mannheim

Mannheimer wissen, dass die Neckarstadt-West sowohl ein realer Ort ist als auch eine Metapher für eine Vielfalt städtischen Zusammenlebens. Man kann sie euphemistisch bunt nennen, aber auch als sozialen Brennpunkt bezeichnen. Die Neckarstadt-West ist eine sogenannte Incoming City, ein Stadtteil, in dem Zuwanderer aus der ganzen Welt zu Landsleuten ziehen, die schon früher dorthin kamen, mit einem von Jahr zu Jahr immer geringer werdenden Anteil deutscher Ureinwohner, dafür mehrere Tausend Roma aus Südosteuropa sowie Menschen aus bis zu 100 weiteren Nationen. Bildungs- und Aufstiegsorientierte unter ihnen verlassen die Neckarstadt-West wieder, da sie möchten, dass ihre Kinder in Deutschland zur Schule gehen. Zurück bleibt eine stetig wachsende Noch-Minderheit armer, alter, arbeitsloser, nichtintegrierter, kriminalitätsbelasteter, prügelnder Verlierer, allein lebend oder in kaputten Familien, prekär arbeitend oder hartzend. Natürlich gibt es wo Schatten ist auch Licht: Hauseigentümer, die ihre gepflegten Mietshäuser mit handverlesenen Hausgemeinschaften wie Inseln gegen die anbrandende Flut verteidigen, fleißige interkulturelle oder interreligiöse Patchworkfamilien, die ein bürgerliches oder gottgefälliges Leben versuchen, Angehörige kleiner, temporär stabiler Parallelgesellschaften, und als bunte Garnitur Studenten und Künstlervolk, die sich einreden, sie lebten in New York. Etwa 200 lokalpatriotisch und sozial engagierte Menschen – nahezu ausschließlich Autochthone – halten mit bewunderungswürdiger Kraft die Institutionen und Initiativen am Laufen, die täglich den Anschein eines funktionierenden Stadtteils aufrechterhalten.

LinkeGrüneSPDFDPCDUCSU wollen weitere Zuwanderung

Die hier gestellte Frage lautet, wo in Mannheim die nächste Neckarstadt-West entstehen wird. In welchem Stadtteil wird diese sicher zu erwartende Verwandlung stattfinden? Nicht, dass die jetzige Neckarstadt West in absehbarer Zeit gentrifiziert werden wird, was bedeuten würde, dass sich die Bewohner der teils ansehnlichen Gründerzeithäuser im Laufe einiger Jahre eine neue Bleibe suchen müssten, sondern weil die von der Mehrzahl der politischen Parteien in Deutschland so gewollte Einwanderung in die Arbeitslosigkeit und in die Sozialsysteme anhalten wird, wenn auch vielleicht in zeitweise etwas verringertem Umfang. Wie in der Vergangenheit werden sich auch die künftigen Zuwanderer in den Großstädten konzentrieren, und sie werden dies – trotz Wohnsitzauflage – gemeinsam tun mit den Asylanten und Wirtschaftsflüchtlingen aus den Boomjahren der Invasion 2015/16. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft GBG wird dieses Problem zwar engagiert kommentieren, aber nicht lösen können. Sie wird offen und heimlich alles tun, um ihren Mietermix zu erhalten, und damit die millionenschweren Instandhaltungsinvestitionen der letzten Jahre gegen Verslumung schützen.

Neben der Zuwanderung wird eine weitere – diesmal Mannheim-spezifische – Entwicklung den Markt für relativ preiswerte ältere Bestandswohnungen beeinflussen. Nicht nur auf Konversionsflächen sind über die Stadt verteilt bereits die ersten von ca. 10.000 Wohnungen im Bau oder werden demnächst begonnen. Von den neuen Eigentümern und Mietern, werden 7-8.000 eine Wohnung in Mannheim freimachen. Die ist fast immer deutlich billiger als die neue und sucht dann Nachmieter. Für Mietinteressenten, die es bisher schwer haben, ist das eine gute Nachricht. Für die Vermieter von Altbauten in alten Ortskernen und in verkehrsreichen Lagen eher nicht.

Warum also werden private Hauseigentümer irgendwo in Mannheim nächste Neckarstadt West schaffen? Die Antwort ist einfach: weil sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre individuellen Vorteile suchen, und aus deren Summe dieses Ergebnis resultieren wird. So war es bereits in der Vergangenheit. Dies lässt sich wesentlich besser vorausberechnen, als das Klima in 50 Jahren, denn die Elemente des Algorithmus für diese Modellrechnung sind einfach und überschaubar. Lediglich die kleinräumigen Zahlenwerte, mit denen gerechnet werden soll, muss der geneigte Leser auf der Basisseiner Beobachtungen selbst eintragen.

Die nächste Neckarstadt-West entsteht bereits

Die neue Neckarstadt-West ist bereits im Begriff, zu entstehen. Der Prozess hat in verschiedenen Vororten in der Stadt begonnen, aber noch ist nicht offensichtlich, wo er am raschesten voranschreiten wird. Dies wird voraussichtlich dort geschehen, wo es eine größere Anzahl und Dichte älterer Mietshäuser gibt, in denen die bereits betagten deutschen privaten Vermieter heute noch selbst wohnen. Wo dies der Fall ist, neigen diese Vermieter dazu, solange die Nachfrage dies zulässt, unter ihrem eigenen Dach deutsche Mieter zu bevorzugen und Mieter ausländischer Herkunft nur auf Empfehlung und als Minderheit zu akzeptieren. Damit wollen sie den “Stil des Hauses“ , und den Wert ihres Eigentums schützen, auch um den Preis, die kurzfristigen Mieteinnahmen nicht zu maximieren. Aber wie lange lässt die Nachfrage dies zu?

Wir wünschen den alten Vermietern ein langes Leben, aber früher oder später tritt der Erbfall ein. Dieser stellt insofern eine erhebliche Zäsur dar, als es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Erben als Vermieter selbst in das Haus einziehen werden. Gleich ob es sich um Kinder oder Nichten und Neffen handelt, ist es relativ wahrscheinlich, dass sie des Berufs oder der Liebe wegen nicht in Mannheim leben oder zwar in Mannheim wohnen, aber dafür im eigenen Heim. Sie betrachten das ererbte Haus zwar auch als familiäre Verpflichtung, in erster Linie jedoch als Kapitalgut. Daran wird sich die ganze Sache entscheiden.

In manchen Fällen mag es gute Gründe geben, das Haus zu behalten und in die Rolle des Vermieters zu schlüpfen, z.B. wenn die Prognose für die Wohnlage einwandfrei ist, Bargeld nicht benötigt wird, und eine bessere Rendite erzielt werden kann, als mit anderen Anlageformen. Uns interessieren die Fälle, in denen den Erben oder noch eher die Erbengemeinschaft der erwartete Verkaufserlös lockt.

Ein Makler wird eingeschaltet und erklärt den optimistischen Verkaufswilligen folgendes:

“Wenn im obersten Geschoss eine Wohnung frei ist und darüber das Dach ausgebaut werden kann, so dass eine schicke Maisonette mit Dachterrasse entsteht, und wenn es in der Nähe zwei Parkplätze gibt, dann habe ich eine junge deutsche Familie für Sie als Käufer. Die möchten urban wohnen, aber nicht in einem langweiligen Reihenhaus. Wenn das nicht klappt, müssen Sie aber nicht verzagen, denn es gibt eine ganze Menge Kaufinteressenten aus verschiedenen europäischen Ländern, die auf der Suche nach einem Haus wie dem ihren sind.“

Natürlich sind unsere Erben zunächst einmal etwas erschrocken, weil sie eine Sekunde lang daran denken, wie sie es den jetzigen Mietern beibringen, dass ihr künftiger Vermieter aus der Türkei oder aus Ex-Jugoslawien kommt. Aber, nachdem der Verkauf an die deutschen Hedonisten nicht geklappt hat, entschließen sich unsere Erben zum Verkauf an den türkischen Betreiber eines Im- und Exportgeschäftes. Schließlich können sie nichts für eventuelle Vorurteile ihrer Mieter. Aus Gesprächen beim Hausbesitzerverein, beim Notar und bei der Hausbank erfahren sie, dass in den letzten Monaten in ihrer Gegend mehrere ähnliche Verkäufe über die Bühne gegangen sind. Lediglich ein Mietshaus erwarb ein deutscher Kapitalanleger. Der hat einen wenig Vertrauen erweckenden Verwalter, der sofort die ehemalige Eigentümerwohnung zimmerweise an südosteuropäische “Selbständige“ vermietet hat. Die übrigen Mieter sind zwar empört, aber gedanklich bereits auf der Flucht.

Die neuen Vermieter

Wie und wie schnell es jetzt mit der ethno-demografischen Wende weitergeht, hängt von der Vermietungsstrategie der neuen Eigentümer ab. Die kann sehr unterschiedlich sein. Vielleicht zieht der Käufer mit seiner netten Kleinfamilie ein. Vielleicht wird er das Haus nach und nach für seine Großfamilie entmieten. Vielleicht will er die Mieterlöse maximieren und vermietet an eine Klientel, von der das Wohnungsamt sich freut, wenn sie irgendwo unter ist. Die Geschäftsmodelle sind im Prinzip die gleichen, die auch deutsche Hauseigentümer zur Anwendung bringen können. Es gibt nur einen kleinen Unterschied: So wie dem verstorbenen deutschen Hauseigentümer die eigenen Landsleute die sympathischsten Mieter waren, mit denen er glaubte, am besten zurechtzukommen, gilt für den neuen türkischen Vermieter das Gleiche, so wie es auch bei einem kroatischen oder polnischen Käufer gewesen wäre.

Damit wird der bereits begonnene Prozess des Bevölkerungsaustausches beschleunigt. Der verstärkte Zuzug aus dem bunten Deutschland und der großen weiten Welt schafft auch eine neue Minderheit, die der Biodeutschen. Der Prozess erfasst zunächst einige Wohnungen, danach einige Häuser, anschließend ganze Straßenzüge. Er pflanzt sich fort über die Kindergärten und Schulen, den kleinen Einzelhandel, die Gaststätten und die Vereine. Für aufmerksame Beobachter wird der Trend bereits frühzeitig so offensichtlich, dass sowohl Immobilienkäufer als auch -verkäufer darauf ohne jedes Risiko spekulieren können. Er entgeht auch einigen jungen Eltern nicht, die demnächst ein Kind in die Grundschule schicken möchten. Sie sind am sensibelsten und ziehen spätestens im Kindergartenalter weg ins Umland. Andere Eltern streichen die Gegend aus dem gleichen Grund von der Liste der Orte, wo sie hinziehen möchten. Auch wer öffentliche Verkehrsmittel benutzt, hat jetzt andere Mitfahrer als noch einige Jahre zuvor. Ein Teil der Fahrgäste hat das Gefühl, sich verbessert zu haben, ein anderer Teil empfindet heftig das Gegenteil.

Üblicherweise begleitet die Kommunalpolitik solche Prozesse mit rituellen Beschwörungen und symbolischen Investitionen. Aber beide Bemühungen sind ebenso wirkungslos wie die Tänze von Regenmachern in anderen Gegenden der Welt, denn die einzige wirklich wirksam zu beeinflussende Stellgröße wäre die Zuwanderung über die Außengrenzen. Alles was danach kommt, sind Marktprozesse, die sich staatlicher Lenkung weitestgehend entziehen. Ein Politiker, der das nicht zugeben will, muss seine Wähler stattdessen belügen und so tun, als könne er Regen machen.

Wenn die Bausubstanz und das Stadtbild in der nächsten Neckarstadt-West es zulassen – vielleicht gibt es in ein paar Jahrzehnten für dann wieder neue Eigentümer eine Investitionschance auf Gentrifizierung? Aber das wird dann auch wieder nicht recht sein.

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2 Gedanken zu “<span class="entry-title-primary">Wo entsteht die nächste Neckarstadt-West?</span><span class="entry-subtitle">Neues vom Stadtumbau</span>”

  1. Hallo, Invasion 1915/16 ? Wohl eher 2015/16? (DANKE FÜR DEN HINWEIS: IST GEÄNDERT, EW)
    Es gibt in der ganzen Kakophonie eine Hoffnung. Noch ist Deutsch die lingua franca, auch in der Neckarstadt. Und vielleicht ist eine konservative Antwort das Akzeptieren des Zuzuges bei gleichzeitigem Beharren auf das was “uns” ausmacht?
    Viele Gruesse aus der Langstrasse

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