Von Eberhard Will, Mannheim
Entgegen dem mutmaßlichen historischen Fremdbild gehören die Deutschen heute mit ziemlicher Sicherheit zu den friedlichsten Völkern der Erde. Lediglich unsere früheren grünen Pazifisten haben ein Faible für humanitäre Kriegseinsätze. Ich selbst wurde vor zig Jahren mit 17 vom Musterungsarzt der Ersatzreserve II zugewiesen. Ich vermutete, das seien die, die hinterher aufräumen müssen. Anscheinend ging nach den Kniebeugen mein Puls zu langsam zurück, oder das Tagessoll war bereits erfüllt. Jedenfalls hat es mich der Frage enthoben, ob ich dienen oder verweigern sollte. Was allerdings auch zur Folge hatte, dass es mir auf dem Gebiet der Landesverteidigung vollkommen an Erfahrung fehlt. Leider sind auch die Medien zum Thema Bundeswehr seit Jahren ein Komplettausfall, da anscheinend alle aktiven Journalisten verweigert hatten und nichts über die Bundeswehr wissen und dort auch niemanden kennen. Eine Ausnahme ist Thomas Wiegold mit seinem Blog “Augen geradeaus!“ http://augengeradeaus.net/
Etwas Basiswissen habe ich mir aus dem Reibert zusammengelesen. Das ist ein knapp 500 Seiten starkes Handbuch für den deutschen Soldaten im Oktavformat, immer wieder neu aufgelegt seit 1929. Auch ein paar Bücher habe ich gelesen, z.B. von Trevor N. Dupuy, Lothar-Gunter Buchheim, Jörg Friedrich, Sönke Neitzel/Harald Welzer, Herwig Münkler, Peter W. Singer und nicht zuletzt Martin van Creveld. Meine umfangreichste Anschauungen stammen neben dem Fernsehen aus mehreren englischen Militärmuseen, wo es auch stolze Sammlungen deutscher Wehrmachtsdevotionalien gibt. Was ich damit sagen will ist, dass ich mich – obschon Zivilist – wesentlich besser gerüstet fühle, mich kritisch zur Bundeswehr und ihrer Ministerin zu äußern, als fast alle Verweigerer und weiblichen Wähler – kampferfahrene Soldatinnen natürlich ausgenommen.
Maßstab von Kritik sind natürlich wie stets erfüllte oder enttäuschte Erwartungen. Also, was erwarte ich als Steuerzahler und nicht mehr wehrfähiger, älterer Staatsbürger von der Bundeswehr? Da gibt es zunächst die Forderungen, die für Menschen meiner Generation wahrscheinlich überwiegend selbstverständlich scheinen: Dass die Bundewehr eine Parlamentsarmee ist und nicht vom Kanzler in Marsch gesetzt wird, dass sie sich international und national an Recht und Gesetz zu halten hat, dass es Grundsätze der inneren Führung gibt (auch wenn man den Begriff in letzter Zeit nur noch selten hört), dass sie in die Bündnisverpflichtungen und die Arbeitsteilung in der NATO eingebunden ist, dass sie innerhalb des Bündnisses das Vertrauen in Deutschland stärken soll.
Aber der geneigte Leser hat hoffentlich bemerkt, dass all dies zwar notwendige Bedingungen sind (nicht Nice to have!), aber keine hinreichenden. Denn im Kern kommt es natürlich darauf an,
- den Bürgerinnen und Bürger Deutschlands und der Verbündeten Schutz und Sicherheit vor Angriffen militärischen Nötigungen zu bieten,
- die territoriale Integrität und die Souveränität Deutschlands und seiner Verbündeten zu bewahren
- (zusätzlich internationale Verantwortung, z.B. im UN-Auftrag wahrnehmen zu können, klingt auch gut. Leider gibt es nicht viele wirklich erfolgreiche Beispiele.)
Nach aller historischen Erfahrung ist es für all das erforderlich, dass ein Staat in der Lage ist, allein oder gemeinsam mit seinen Bündnispartnern militärische Gewalt nicht nur glaubhaft anzudrohen, sondern auch auf fremdem Territorium wirksam gegen Widerstand durchzusetzen Dabei geht es nicht um ein ziviles Maß an Gewalt wie bei der Polizei, sondern um richtig massive und anhaltende Gewalt, ausgeübt auf vielfältige Art, und es geht letzten Endes immer auch um Bodentruppen. Es geht um selektive und flächige Zerstörung, es geht um das Töten von vielen Gegnern und die Gefangennahme von weiteren. Dabei ist die Kehrseite der Medaille leider das Sterben und das Aushalten der eigenen Verluste. Es geht um Krieg, nicht um Scharmützel.
Im Deutschen gibt es ein Wort, dass alle damit verbundenen Aspekte in einem Begriff zusammenfasst: Kampfkraft. Als nicht mehr wehrfähiger, verheirateter Steuerzahler erwarte ich von der Bundeswehr in erster Linie Kampfkraft! Das ist es, was ich für mein Geld haben will. Leider habe ich seit der Auflösung des Warschauer Paktes nicht mehr den Eindruck, dass deutsche Verteidigungsminister und Parlamentarier dies auch so sehen. In der politischen Debatte kommt das Wort jedenfalls nicht vor.
Zunächst war nach 89 die Friedensdividende durch Abrüstung zu kassieren, sodann hat die Kanzlerin – überfallartig wie es ihre Art ist, und ohne zu wissen, was an ihre Stelle treten sollte – die Wehrpflicht abgeschafft, und schließlich hat die erste Verteidigungsministerin die Bundeswehr frauen- und familienfreundlicher gemacht. Zwischendurch gab es regelmäßige Berichte zu lesen über Schiffe, die nicht auslaufen konnten, Panzer, die nicht fuhren, Flugzeuge, die nicht flogen oder nicht existierten, Hubschrauber in permanenter Reparatur nach verzögerter Auslieferung, fehlende Munition verschiedener Kaliber, den Austausch von Waffen, die die Truppe gut, die Beschaffer aber schlecht fanden, und darüber, dass von 170.000 Mann (incl. Frauen) wegen Logistik, Bewaffnung, Ausrüstung und Urlaub eigentlich nur 10.000 gleichzeitig im Einsatz sein könnten.
In dieser Situation hat es die Verteidigungsministerin für richtig gehalten, öffentlich zu erklären, die Bundeswehr habe ein Führungs- und ein Haltungsproblem und daraufhin Kasernen und Spinde filzen zu lassen, um irgendwo Reste militärischer Wandmalereien zu finden sowie etwaige Wehrmachts-Hausaltäre mit aufgebahrten Helmen, Fahnen oder Gewehren. Auslöser war ein junger Offizier, im Dienst ausgerechnet der deutsch-französischen Brigade, der sich ohne ein Wort Arabisch zu sprechen von der BAMF als marokkanischer Asylsuchender hatte registrieren lassen, mutmaßlich um ein gemeinsam mit einem (oder mehreren?) Kameraden durchzuführendes Attentat Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben. Zu bundesweiter Bekanntheit gelangte in diesem Zusammenhang, dass an der Bundeswehr-Hochschule in Hamburg, die seinen Namen trägt, ein Foto des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform mit bilderstürmerischem Eifer abgehängt wurde.
Mit diesen Aktionen hat – wie man von Offizieren hören kann – die Verteidigungsministerin nicht nur sich selbst bei der Truppe verbrannt, sondern den Generalinspekteur gleich mit. Dies konnte man leicht auch einem runden Dutzend Leserbriefe entnehmen, die überwiegend pensionierte Offiziere diverser Dienstgrade in den darauffolgenden beiden Wochen an die FAZ geschrieben haben. Die waren die Spitze des Eisberges, so dass sich jeder ausmalen konnte, was der darunterliegende Eisberg gedacht und geäußert hat. Das war bestimmt deftiger und nicht so wohlformuliert wie von den vorsichtigen, das Mäßigungsgebot ernst nehmenden Ruhestandsbeamten. Ursula v.d.L. hat garantiert die Kampfkraft der Bundeswehr zumindest temporär erheblich geschwächt. Wenn sie ihre Ankündigung wahrmacht, den sog. Traditionserlass revidieren zu lassen, wird die Schwächung dann auf Dauer gestellt werden. (Woran man sieht, dass “nachhaltig“ nicht immer gut ist.) Der Grund ist, dass sie anscheinend vorhat, die Wehrmacht ganz und gar aus dem Geschichtsbuch der Bundeswehr zu streichen. Hat sie doch erklärt, die Wehrmacht könne – der Widerstand ausgenommen – in gar keiner Weise traditionsstiftend für die Bundeswehr fungieren. Diese Sichtweise steht trotz CDU-Mitgliedschaft fest in der Tradition der seinerzeitigen, mehr als einseitigen Ausstellung “Die Verbrechen der Wehrmacht“.
Da waren die Autoren der Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr 1982 zu Zeiten des sozialdemokratischen Verteidigungsministers Hans Apel klüger. Zwischen den Zeilen eines demokratisch ganz und gar untadeligen Textes ließen Sie genügend Luft für das Bedürfnis des aktiven Soldaten nach einer bruchlosen Tradition des praktischen Kriegshandwerks auch über einen politischen und moralischen Totalausfall der politischen Führung hinweg. Selbstgefällige jüngere Politiker neigen zu der Ansicht, man könne den Respekt vor einem professionellen Kriegshandwerk nicht von fallweise verbrecherischen Kriegszielen trennen. Umgekehrt glauben sie, dass ihre eigenen Marschbefehle immer historisch richtig und moralisch gerechtfertigt seien, was man aber besser immer erst mit einem gewissen historischen Abstand beurteilen sollte. Einiges spricht schon heute dagegen.
Daher müssen der Soldat und seine militärische Führung vorsichtshalber schon selbst und hier und jetzt dafür sorgen, dass ihr Einsatz einen Sinn hat. Immerhin geht es nicht einfach um materiellen Gewinn oder Verlust, die irgendwann am Jahresende bilanziert werden, sondern es müssen im Einsatz ggf. täglich die Chancen des Tötens wahrgenommen und die Risiken des Sterbens getragen werden. Mit kaltem Blut geht das offensichtlich nur, wenn man über die Sinnhaftigkeit der Mission nur gelegentlich nachdenkt und sich stattdessen in jeder Minute auf höchste professionelle Handwerkskunst konzentriert. Wer hier das Memorieren von Traditionslinien, das Pflegen von Brauchtum und das Sammeln von Devotionalien ausdrücklich verbieten will, hat offensichtlich keine Ahnung davon, dass große Organisationen einer für die Aktiven stimmigen Geschichte (neudeutsch: Narrativ) bedürfen. Historische Lücken bewirken darin ebenso einen Vertrauensverlust wie in den Lebensläufen von Bewerbern.
Um auf die britischen Militärmuseen zurückzukommen, die ich besuchen konnte: dort wird das offensichtlich genau so gesehen. Zu all den vielen hakenkreuzverzierten Dolchen, Orden, Uniformen Waffen, Gebrauchsgegenständen, Karten, Fotos, Briefen usw. gab es ziemlich sachliche Texte, sozusagen von Profis über Profis. Offensichtlich war man bemüht, das Militärische bei Freund und Feind nicht zu verschieden darzustellen. Die Ausstellungsmacher glaubten wohl nicht, sie könnten das Eigene aufwerten, indem sie das Gegnerische abwerten. Die Briten kennen ihre Militärgeschichte besser als alle Anderen, und britische Historiker können bemerkenswert selbstkritisch sein. Aber sie schonen die Handwerker des Krieges, solange die keine Politik machten.
Nachtrag:
Achse-Autor Rainer Grell hat eine wirklich lesenswerte kleine Geschichte der Vergangenheitsbewältigung der Bundeswehr geschrieben.
http://www.achgut.com/artikel/von_der_leyen_und_die_bundeswehr_roeschen_im_schilderwald