Von Eberhard Will, Mannheim
Gerade habe ich ein paar Zeitungen aus der letzten Woche entsorgt. Auf S.48 im Handelsblatt vom 29.05. geißelte DIW-Chef Marcel Fratzscher den deutschen Außenhandelsüberschuss, das fehlende Schuldeingeständnis der Bundesregierung dafür und die “Doppelmoral“ ihrer Kritik an der Politik der EZB.
Er sieht es so: “Verantwortlich für den Handelsüberschuss sind nicht die Exporte oder der Euro, sondern Deutschlands große Investitionsschwäche, die vor allem durch unzureichende Rahmenbedingungen für private Investitionen wie eine überbordende Bürokratie, regulatorische Unsicherheit, ein zunehmender Fachkräftemangel und zu geringe öffentliche Investitionen in Bildung, Innovation und Infrastruktur verursacht wird.“ Nicht alles ist falsch, aber darauf, dass ein Handelsbilanzüberschuss von 8% nichts mit den Exporten und die Exporte nichts mit dem Wechselkurs zu tun haben, muss man erst mal kommen. Dass der für unsere Verhältnisse massiv unterbewertete Euro Exporte aus Deutschland massiv begünstigt, während er für die Euro-Südländer deutlich (unterschiedlich) überbewertet ist, und ständig zum Ruin ihrer Industrie beiträgt, ist zwar nicht das einzige Problem, aber das fundamentale. Fratzscher empfiehlt, was das DIW schon seit 40 Jahren stets und unabhängig von der jeweiligen Wirtschaftslage fordert, mehr Staatsausgaben und mehr höhere Verschuldung.
Auf Seite 12 der gleichen Ausgabe widmet sich Bert Rürup, Chefökonom des Handelblattes der jüngsten Erklärung des Bundesfinanzministers zum Handelsbilanz- und Leistungsbilanzüberschuss. Ohne ihn beim Namen zu nennen, kritisiert er mit überlegenen ökonomischen Argumenten implizit auch den Fratzscher-Artikel. Sein Rezept lautet: “Um den Leistungsbilanzüberschuss wirklich zu drücken, müssten die Löhne massiv steigen. Die deutschen Exporte würden teurer, und der private Konsum würde kräftig zulegen.“ Auch er würdigt der Fehlkonstruktion des Zwangs-Einheits-Euro und seiner zerstörerischen Effekten keiner Kritik, sondern bemerkt lediglich den exportfördernden Effekt der Euro-Abwertung durch die EZB. Dass auch ein aufwertender Nord-Euro unsere Exporte verteuern und die Kaufkraft der Konsumenten erhöhen würde, kommt ihm nicht in den Sinn.
Warum blenden der Ancorman eines Wirtschaftsforschungsinstitutes und der Hausökonom einer führenden Wirtschaftszeitung das grundlegende Thema wortlos aus? Der erstere bestreitet sogar das Offensichtliche! Sämtliche mögliche Erklärungen kann man natürlich nicht kennen. Vielleicht hat Herr Fratzscher irgendwo eine Bewerbung laufen, wo deutsche Selbstbezichtigung gut ankommt. Die einfachere und daher wahrscheinlichere Erklärung, die beide Fälle abdeckt, lautet jedoch: Unterwerfung unter die politische Macht. Respektierung des Tabus Euro. Alle Chefs der großen Wirtschaftsforschungsinstitute haben erkannt, dass die Politik den Euro um jeden Preis erhalten will, und dass die Bundesministerien große Finanziers und Auftraggeber sind. Dass überlegene Expertise nicht gegen entschlossene politische Macht gewinnen kann, konnten auch die Edelfedern Leitmedien am erfolglosen Kampf von Hans-Werner Sinn beobachten. Und wer will schon bei den Verlierern sein.