Holland in NotDie Deutschen nehmen vier Millionen Flüchtlinge auf

Von Eberhard Will, Mannheim

Hochwasser_Fotolia_62818365_XSWahrscheinlich wissen auch die türkischen Behörden nicht wirklich, wie viele Flüchtlinge bisher aus Syrien und dem Irak über die türkische Grenze gekommen sind. Sind es tatsächlich 2 Mio., oder sind es deutlich mehr oder deutlich weniger? Egal, deutschen Gutmenschen ist jede Zahl recht, um belegen, dass Deutschland jetzt und in Zukunft ein Vielfaches an nahöstlichen und afrikanischen Flüchtlingen aufnehmen könne. Ein kleines Gedankenexperiment kann helfen, diesbezüglich zu einer differenzierten Einschätzung zu kommen.

Wir nehmen an, wegen eines tektonischen Betriebsunfalles versinkt das Königreich der Niederlande innerhalb weniger Monate zur Hälfte in der Nordsee. Dadurch wird es für die 16,8 Mio. Holländer ziemlich eng zuhause. Vier Mio. von ihnen (incl. anteiliger Einwanderer) fliehen in Schüben über die deutsche Grenze, geringere Zahlen nach USA, England, Frankreich und in die übrige EU.

Was werden die Deutschen jetzt tun? Was wird die deutsche Politik tun? Würden wir uns abschotten, eine Mauer bauen, die Flüchtlinge zurück über die Grenze jagen? Mit Sicherheit nicht. Wir dürfen vielmehr vermuten, die Deutschen würden über sich hinauswachsen.

Wahrscheinlich würden innerhalb von wenigen Wochen zehntausende leerstehender Einliegerwohnungen auf dem Markt erscheinen und sogar – wenigstens vorläufig – mietfrei von Flüchtlingen bezogen werden. Sie dienten einst der Steuerersparnis, aber längst wollten die Eigentümer keine Fremden mehr im Haus, die unter dem Schutz des deutschen Mietrechts stehen. Jetzt, angesichts der Not, würden sie diesen kleinlichen Gedanken beiseiteschieben.

Die Deutschen würden auch massenhaft Geld spenden. Beim Elbehochwasser 2002 waren es € 350 Mio. Für 4 Mio. Flüchtlinge aus den Niederlanden würde noch sehr viel mehr Geld aus den privaten Schatullen auf die Spendenkonten fließen. In fast jedem Ort würden spontane Initiativen alles Benötigte sammeln und auf jede denkbare Art helfen. Noch viel wichtiger wären jedoch die staatlich organisierten Bemühungen, Unternehmer und Unternehmensbelegschaften wieder zusammenzuführen, um zu versuchen, versunkene Betriebe im Nachbarland wieder zum Leben zu erwecken. Der unternehmerischen Initiative der Flüchtlinge würden goldene Pfade planiert, damit sie sich baldmöglichst selbst ernähren könnten. Eine Situation, in der Gelddrucken ausnahmsweise eine wirklich gute Idee wäre.

Sozialindustrie und öffentliche Verwaltung würden zu großer Form auflaufen, so dass die Welt erleichtert wäre, dass diese Kreativität und Organisationskraft zweifelsfrei friedlichen Zwecken dienten. In den Medien kämen ständig Reminiszenzen an die Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen nach dem zweiten Weltkrieg. Aufgrund der absoluten Zahlen (vier Mio.) wären vorübergehend wohl auch Beschlagnahmungen und Einquartierungen unvermeidlich, aber vom Volk tapfer erduldet. Auch gäbe es angesichts der großen Zahlen  (hoffentlich) genügend Motivation für die Politik, bei Ansprüchen auf Sozialleistungen auch an die Steuerzahler zu denken, die sie finanzieren.

Natürlich wäre nach einigen Monaten nicht mehr alles Friede, Freude, Eierkuchen. Auch die Flüchtlinge nach 1945 waren im Westen Deutschlands nicht besonders beliebt, sondern Gegenstand von Misstrauen und – seltsamerweise – Neid. Die Neuankömmlinge würden das gelegentliche Murren und manche scheele Blicke wahrnehmen. Sie sind die dunkle Seite der Hilfsbereitschaft. Aber den meisten Niederländern wäre vermutlich klar, dass diese der menschlichen Natur geschuldet sind und nicht irgendwelchen finsteren teutonischen Charakterzügen. Ebenso wie sich im Nachkriegsdeutschland keine Parallelgesellschaften von Ostpreußen, Schlesiern oder Sudetendeutschen gebildet haben (unbeschadet der Folklore der Verbände), würde sich hier und heute keine nichtintegrierte Parallelgesellschaft von (autochthonen) Niederländern bilden. Vielmehr ist zu vermuten, dass ihre zunächst teure Integration innerhalb von zehn bis zwanzig Jahren eine menschliche und ökonomische Erfolgsgeschichte von Geben und Nehmen würde. Dafür gäbe es insbesondere zwei Erfolgsbedingungen, die sehr eng miteinander zusammenhängen: Kulturelle Nähe und ethnische Nähe zwischen den Menschen.

Ziemlich sicher wäre zu erwarten, dass die allermeisten der autochthonen holländischen Deutschland-Flüchtlinge auf der Basis bereits vorhandener Kenntnisse über kurz oder lang mehr oder minder perfekt Deutsch sprechen würden. D. h., es würden ihnen auch ohne Privilegierung alle Jobs offenstehen, für die sie in der alten Heimat ausgebildet wurden. Und Hape Kerkeling oder Rudi Carell als direkte Nachbarn zu haben, würde jedenfalls bei deutschen Eingeborenen wohl kaum Irritation auslösen.

Und wo fände das Finale der Integration statt? In den Betten. Die Partnerwahl der jungen Damen (der holländischen und der deutschen) würde bereits innerhalb von Monaten für den Beginn eines wunderbaren Mischmaschs sorgen. Während kurzfristige Beziehungen zu diesem Thema natürlich nichts bringen, ist jedoch weder von holländischen noch von deutschen Eltern oder Familien anzunehmen, dass Sie paneuropäischen Beziehungen oder Ehen torpedieren würden. Die deutsche Mittellage und der selektive Männergeschmack der Mädels würden ganz von alleine dazu führen, dass der Genpool kräftig aufgefrischt würde.

Was sagt uns unser kleines Gedankenexperiment? Die Bereitschaft und die Fähigkeit, unseren unmittelbaren Nachbarn zu helfen, wären im Bedarfsfall gigantisch. Das wären sie grundsätzlich genauso, wenn es z.B. um Dänen, Belgier, Franzosen, Polen, Tschechen, Österreicher, Slowenen, Kroaten, Schweizer, Italiener oder Spanier ginge. Teilweise würden hier größere Sprachbarrieren und phänotypische Fremdheit höhere Hürden aufbauen, die von den Menschen beiderseits schwerer zu überwinden wären. Aber spätestens nach zwei Generationen könnte auch dann etwas bestaunt werden, was in der ferneren Vergangenheit als Ergebnis von geglückter Wanderung selbstverständlich war: weitgehende Assimilation.

Müssen wir uns jetzt schämen, weil die meisten Deutschen gegenüber Menschen aus entfernteren Weltgegenden anders empfinden? Dafür, dass die Spendenbereitschaft mit der Entfernung abnimmt, genauso wie Bereitschaft, unter einem Dach zu wohnen oder gar unter die gleiche Bettdecke zu schlupfen? Nein, natürlich nicht, denn allen übrigen Menschen geht es ganz genauso.

Weiterhin zeigt unser kleines Gedankenexperiment dass die Regionalisierung der Welt-Flüchtlingsprobleme der einzig sinnvolle Ansatz ist. Regionalisierung bedeutet, Flüchtlinge werden in der eigenen Weltregion, auf dem eigenen Kontinent aufgenommen und entweder vorübergehend beherbergt oder dauerhaft integriert. Nur dieser Ansatz berücksichtigt die Erfolgs- und Akzeptanzvoraussetzungen der kulturellen Nähe und der ethnischen Nähe. Natürlich muss die Weltgemeinschaft (also der Steuerzahler der wohlhabenderen Regionen) den jeweiligen Aufnahmeländern helfen, die vorübergehenden finanziellen Lasten der Hilfsbereitschaft zu tragen. Aber das ist wesentlich günstiger als die unvermeidlichen Wohlfahrtsverluste zu tragen, die aus weiterer ungesteuerter Masseneinwanderung in die wirtschaftlich noch relativ erfolgreichen Länder resultieren würden.

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